Meldungen des Jahres 2021
George Orwell und kein Ende? Und bald in einem dokumentarischen Computerspiel
In der Vergangenheit habe ich manchmal mitunter etwas scherzhaft darüber geäußert, dass mich George Orwell und sein weltbekannter utopischer Roman „1984“ seit dem Jahre 1958 stets begleiten würden, dass ich das Gefühl hätte, nicht mehr von ihnen loszukommen. Während der bedrückenden, bis zu seelisch qualvollen Tagen, hinter Gittern des sächsischen Gefängnisses Waldheim, die sich erschreckend langsam, zu zwei Jahren zusammenfügten, waren sie insgeheim bei. Kein Sterbenswörtchen durfte ich über sie verlieren, um mir keinen „Nachschlag“* einzuhandeln. Und schließlich – vor nunmehr 32 Jahren – hätte ich mir vorstellen können, zu träumen, dass mir Orwell eine Hand auf die Schulter legen und mir zuflüstern würde, nun, da in der DDR die Herrschaft der „Großen Brüder“ überwunden sei, nicht in einer Art Genugtuung zu verharren, sondern etwas zu tun, das in seinem Sinne wäre. So ging ich daran, in Stasi-Akten zu recherchieren, nicht nur in meinen eigenen, sondern (auf der Grundlage privater Forschungsarbeiten) auch in denen unzähliger anderer Opfer der DDR-Gedankenpolizei, von lediglich Bespitzelten bis hin zu jenen, denen es so oder so ähnlich ergangen war wie mir. Es war nicht immer leicht, sich zu bemühen, möglichst objektiv zu bleiben. Von unzähligen Schicksalen erfuhr ich nicht nur dadurch, sondern auch als eingetragenes und korrespondierendes Mitglied von Verbänden ehemaliger politischer Häftlinge der sowjetischen Militäradministration in der SBZ und der SED-Diktatur.
Deren Anzahl wird auf zirka 250 000 Frauen und Männer geschätzt. Mir wurde durch die Kenntnis einzelner Biografien bewusst, dass bei all dem, das ich erlebte, die Redewendung „Glück im Unglück“ gehabt zu haben, durchaus etwas auf mich zutreffen könnte. Selbst wegen der Strafe von „nur“ drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus, wurde ich von manchem anderen politischen Knastkameraden in Waldheim belächelt. Es war aber niemals diskriminierend gemeint, wie ich fühlte.
Nach 1990 könnte mir abermals Orwell im Traum erschienen sein, um konkreter zu werden. „Gehe mit deinen Erkenntnissen an die Öffentlichkeit!“ , könnte er zu mir gesagt haben. Ich folgte seinem Rat und hatte es dabei denkbar einfach. Dank seines Bekanntheitsgrades als Mahner vor jeglicher Art von Totalitarismus, angefangen beim Denken bis zum Machtausüben, waren seine beiden Bücher „1984“ und „Farm der Tiere“ aktueller denn je. Das gesamte „sozialistische Lager“ unter Führung der „ruhmreichen Sowjetunion“ war am Zusammenbrechen. Bestimmte Teile der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und Medien, interessierten sich für Menschen, die sich mit Orwells „antisozialistischen Machwerken“ beschäftigt hatten. So war es für mich ein Leichtes, meine Geschichte mit Orwell und „1984“ unter die Leute zu bringen, unter anderem durch Publikationen und Vorträge. Aber auch Privatpersonen traten an mich heran mit Bitten, meine Orwell-Geschichte für ihre akademischen Vorhaben verwenden zu dürfen. Gern gab ich in jedem Fall meine Zustimmung. Sogar ein USA-Bürger interviewte mich persönlich. Er schrieb an seiner Dissertation. George wurde für mich so etwas wie ein imaginärer literarischer Freund, mit dem ich inzwischen in Gedenkstätten, Museen und dergleichen in Erscheinung trete. Auf dem am 17. Juni 2010 in Jena eingeweihten Denkmal für die Opfer politischer Verfolgung in der SBZ/DDR von 1945 bis 1989, bin ich mit ihm – wenn auch nicht gerade „verewigt“ – so doch für wohl lange Zeit präsent.
Ebenso zutreffend könnte dies für ein dokumentarisches Videospiel sein, das zurzeit durch die Ausstellungsagentur Musealis aus Weimar erarbeitet wird, im Rahmen des Bundesprogramms „Jugend erinnert". Unter dem Titel "Wir leben hier – Tage in der DDR“. Ich habe mich bereiterklärt, als Zeitzeuge dabei mitzuwirken, wobei ein Tag aus meiner Beschäftigung mit Orwells Roman „1984“ in drei Szenen gespielt werden kann. Nach jeder Szene wird man einen Kommentar von mir einblenden können. Die Filmaufnahmen dazu wurden bereits erstellt. Dabei war es erforderlich, schriftlich zu bestätigen, dass ich damit einverstanden bin, dass diese einmal weltweit abgerufen werden können. George würde staunen, wenn er erfahren könnte, wie weit die Technik in einem reichlichen halben Jahrhundert fortgeschritten ist. Er lässt mich eben nicht los. Und das gefällt mir! Vielleicht sehen wir uns einmal in einer anderen Welt.
*„Nachschlag“ = Bezeichnung des Gefängnisjargons für einen Strafgefangenen, der erneut wegen einer in der Haft begangenen Straftat angeklagt und verurteilt wurde. In der DDR waren vor allem politische Häftlinge derartigen Maßnahmen ausgesetzt. Sich als Zellenspitzel zu betätigen, war für gewissenlose Mitgefangene eine willkommene Möglichkeit, vorzeitig entlassen zu werden. Ich kannte selbst Haftkameraden mit „Nachschlag“.
Baldur Haase
im Dezember 2021
KEIN Schlussstrich und Transformationsjahre. Zwei Veranstaltungen im Dezember setzen die filmische Projektreihe ZEITZEUGENWERKSTATT fort
Mit gleich zwei Veranstaltungen setzt die Geschichtswerkstatt Jena die filmische Projektreihe ZEITZEUGENWERKSTATT im Dezember 2021 fort.
Aufgrund der aktuell geltenden Pandemie-Auflagen finden die Veranstaltungen im Schillerhof-Kino im Rahmen der 2G-Regelung statt.
Geschichte ohne Schlussstriche, denn: Es begann hier
Werkstattbericht und Diskussion mit dem Psychologen Wolfgang Frindte
Donnerstag, 2. Dezember 2021
Ort: Kino Schillerhof (Blauer Saal),
Helmboldstraße 1, 07749 Jena
Beginn: 18.00 Uhr
Eintritt: 1 €
Abschied und Aufbruch – Skizzen einer Transformation
Eine filmische Zeitzeugendokumentation
AUS AKTUELLEM ANLASS VERSCHOBEN AUF 2022
Ort: Kino Schillerhof (Blauer Saal),
Helmboldstraße 1, 07749 Jena
Beginn: 18.00 Uhr
Eintritt: 3 €
Bitte reservieren Sie Karten vorab online:
www.schillerhof.org
Bitte beachten Sie das Hygienekonzept vor Ort (2G):
www.schillerhof.org/index.php/de/kontakt/hygienekonzept
Werkstattbericht am 2. Dezember 2021
Die Geschichtswerkstatt Jena beleuchtet den Transformationsprozess in Jena, um die gesellschaftlichen Veränderungen, Herausforderungen und Verwerfungen nach 1989/90 in den Blick zu nehmen. Diese Zeitspanne war gekennzeichnet durch neue Freiheiten, veränderte Lebenswege und die Verschiebung von gesellschaftlichen Grenzen. Plötzlich war möglich, was bisher unmöglich schien, doch mit welchen Folgen und Konsequenzen? Das Interview-Projekt „Es begann hier“ fragt unter anderem: Wie haben Menschen verschiedener Altersgruppen diese neue Freiheit ausgefüllt und erlebt? Welche Erfahrungen und Konflikte gab es mit radikalen Einstellungen in der Gesellschaft nach der Wiedervereinigung?
Wie erlebten insbesondere Jugendliche den sogenannten Transformationsprozess und wie schauen sie heute darauf zurück? Wie wirkten sich die gesellschaftlichen Veränderungen in Jena konkret aus – sichtbar im Stadtteil und in der Stadtöffentlichkeit, in der Nachbarschaft, in der Schule oder im beruflichen Umfeld? Welches gesellschaftliche Klima, welche Machtverhältnisse und welche Diskussionskultur prägte die 1990er Jahre? Wie ging die Mehrheitsgesellschaft mit Minderheiten um?
Das Projekt ist eingebunden in das Gesamtprogramm „Kein Schlussstrich“ und wird gefördert durch das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit, die Bundeszentrale politische Bildung und JenaKultur. Der Werkstattbericht von Torsten Eckold, Torsten Cott und Daniel Börner präsentiert und diskutiert erste Arbeitsergebnisse gemeinsam mit dem Jenaer Psychologen Prof. Dr. Wolfgang Frindte.
Zeitzeugenwerkstatt am 15. Dezember 2021
Mit einer Fortsetzung der filmischen Reihe „Zeitzeugenwerkstatt“ widmet sich die Geschichtswerkstatt Jena der Zeit vor 30 Jahren, sprich der Umbruchsphase in den 1990er Jahren. Unter dem doppelten Motto „Abschied und Aufbruch“ befragt das aktuelle Zeitzeugenprojekt den vielschichtigen Transformationsprozess. Wie nutzte man die Freiheit(en) nach 1989/90? Von was nahm man Abschied (auch aus der bisherigen Biografie)? Wohin ist man aufgebrochen (geografisch, mental, beruflich, politisch oder kulturell) und später vielleicht wieder zurückgekehrt? Welche Träume hat man sich erfüllt, was blieb (bis heute) vermisst? Welche prägenden Erlebnisse im Lebenslauf verbindet die/der Einzelne mit der Phase der gesellschaftlichen, ökonomischen und privaten Änderungen in den 1990er Jahre? Ist jener Transformationsprozess überhaupt schon abgeschlossen und welche Rückschlüsse lässt die biografische, individuelle Rückschau auf die gegenwärtige Debatte über den „Zustand Ostdeutschlands“ zu?
Die Macher der einstündigen Dokumentation (Torsten Eckold, Torsten Cott und Daniel Börner) stellen das Ergebnis der diesjährigen Zeitzeugenwerkstatt vor und möchten darüber mit dem Publikum ins Gespräch kommen. Das Projekt wird gefördert durch die Bundesstiftung Aufarbeitung, JenaKultur und die Thüringer Staatskanzlei.
Wer sich die zurückliegenden Zeitzeugen-Projekte ansehen möchte, wird im YouTube-Kanal der Geschichtswerkstatt Jena fündig: www.youtube.com/user/gwsjena
Jubiläumsausgabe Heft 100 der „Gerbergasse 18“ erschienen: Grabe, wo du stehst!
Seit einem Vierteljahrhundert begleitet die Zeitschrift „Gerbergasse 18“ mit Beiträgen und Diskussionen die historische Aufarbeitung, nun ist das 100. Heft erschienen. Die Jubiläumsausgabe trägt das Motto der Geschichtswerkstätten-Bewegung: Grabe, wo du stehst!
Das Editorial der ersten Ausgabe 1996 war mit „Gegen Geschichtsklitterung“ überschrieben – „streitbar und sachkundig“ sollte die neue Zeitschrift den Erfahrungen und Erkenntnissen „ein Podium bieten“, die bisher tabuisiert, verdrängt, ungehört oder unterdrückt waren. Das „Forum für Geschichte und Kultur“, wie es anfänglich hieß, erschien fortan vierteljährlich. Keine Plattform also, um auf Tagesereignisse und Pressemeldungen zu reagieren, sondern eine vernehmbare Stimme der historischen Aufarbeitung und der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung zu Demokratie und Diktatur im 20. Jahrhundert.
In 25 Jahren durchlief die „Gerbergasse 18“ nicht nur eine äußerliche Entwicklung, auch die Fragestellungen und Themenschwerpunkte differenzierten sich immer stärker aus. Während die öffentliche Beschäftigung, die Nutzung der Archive und die wissenschaftliche Forschung massiv angewachsen sind, blieb der Ansatz konstant: die lokale und regionalgeschichtliche Ausrichtung, die Perspektive der Betroffenen und Zeitzeugen, das Hinterfragen etablierter Narrative und Gewissheiten, gründliche Recherchen zu Alltag und Lebensläufen von Verfolgten, Ausgegrenzten und Andersdenkenden, die Einbeziehung von Quellen zu Opposition und Widerstand sowie das Entgegentreten bei Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur. In einer Jubiläumsrubrik würdigt das Heft 100 daher die eigenen Wurzeln: die Ursprünge der europaweiten Geschichtswerkstätten-Bewegung, den Werkstattcharakter als leitendes Arbeitsprinzip, den Sitz der Geheimpolizei in der alten Gerbergasse als ein „Ort der Angst“ und zugleich des Triumphs im Dezember 1989, eine Vereinsgeschichte im Comic-Stil sowie ein Interview mit dem Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Über den eigenen Tellerrand hinaus schaut die Vorstellung anderer Geschichtswerkstätten, die ebenfalls
Zeitschriftenprojekte betreiben.
Das 100-seitige Heft bietet aber auch wieder viele weitere Beiträge zur Zeitgeschichte, etwa zu den Beziehungen von Joseph Beuys zur DDR, einem Rolling Stones-Fan aus Gera im Visier der Stasi oder das Ensemble für Intuitive Musik
Weimar, das vor 40 Jahren gegründet wurde.
Die neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ (Heft 100) ist – wie üblich – im lokalen Buchhandel oder direkt über die Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.
Eine Inhaltsübersicht und Leseproben finden Sie hier.
Keine Schlussstriche akzeptieren – Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus Jena gesucht!
Jena 1989. Quelle: GWS-Archiv / Fotograf: Dieter Urban
Die Geschichtswerkstatt Jena möchte den gesellschaftlichen Transformationsprozess in Jena von 30 Jahren befragen. Vor allem sollen die gesellschaftlichen Veränderungen, Herausforderungen und Verwerfungen beleuchtet werden, die uns bis heute begleiten (und belasten). Es geht um die Zeitspanne zwischen Ende der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre: gekennzeichnet durch neue Freiheiten, veränderte Lebenswege und die Verschiebung gesellschaftlicher Grenzen und Normen. Plötzlich war möglich, was bisher unmöglich schien. Doch mit welchen Folgen und Konsequenzen?
In einem Interviewprojekt möchte die Geschichtswerkstatt konkret nachfragen: Wie haben Menschen verschiedener Altersgruppen diese neue Freiheit ausgefüllt und erlebt? Welche Erfahrungen und Konflikte gab es mit radikalen Einstellungen in der Gesellschaft nach der Wiedervereinigung? Wie wirkten sich die gesellschaftlichen Veränderungen in Jena aus – sichtbar im Stadtteil oder der Stadtöffentlichkeit, in der Nachbarschaft, in der Schule oder im beruflichen Umfeld? Insbesondere geht es in dem Projekt darum, zu erfragen, welche Herausforderungen für die Generation der damals 12 bis 18-Jährigen entstanden sind.
Zum Thema „Jena vor und nach 1990“ sollen Collagen zu fünf unterschiedlichen Themenschwerpunkten entstehen. Für die Fragestellungen sind Zeitzeuginnen und Zeitzeugen unterschiedlichen Alters von Bedeutung, die im oben genannten Zeitraum in Jena lebten. Wir interessieren uns in diesem Zusammenhang sehr für Ihre persönlichen Erinnerungen und würden uns freuen, wenn Sie uns für ein Interview zur Verfügung stehen könnten. Das Projekt ist eingebunden in das Gesamtprogramm „Kein Schlussstrich“, das von Licht ins Dunkel e.V. und JenaKultur verantwortet wird.
Kontakt: Torsten Cott
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Telefon: 0162–54 79 940
Bürgerfest des Thüringer Geschichtsverbundes am 12. September 2021 in Erfurt
Nachdem das beliebte Bürgerfest des Thüringer Geschichtsverbundes im letzten Jahr nur als digitale Variante erlebbar war, wird am 12. September 2021 (zugleich der Tag des offenen Denkmals) das 7. Bürgerfest wieder vor Ort in Erfurt stattfinden und sich der Gleichzeitigkeit von vielfältigen Erfahrungen und Entwicklungen nach 30 Jahren Wiedervereinigung widmen. Dabei geht den Blick gemeinsam mit Akteur:innen aus unterschiedlichen Bereichen auf die Transformationszeit von 1990 bis in die Gegenwart und in eine mögliche Zukunft des Freistaats – eben auf das "Damals", das "Heute" und das "Morgen". Hier geht es zum Programmflyer.
Das Rahmenprogramm startet ab 14 Uhr mit dem ‚Marktplatz‘ der Thüringer Aufarbeitungsinstitutionen. Dazu gibt es zwei Führungen für Familien durch die Gedenk- und Bildungsstätte (14 und 17 uhr) sowie eine Kinderprogramm mit Bastelzelt und Rätselraten, von 16:00– 17:30 Uhr eine Gesprächsrunde über "Damals" (mit Nils Kawig, Chefredakteur der Thüringer Landeszeitung), "Heute" (mit Barbara Thériault, Sozial- und Kulturwissenschaftlerin) und "Morgen" (mit Lisa Liebing, Landesjugendsprecherin der Thüringer Jugendfeuerwehr). Um 19 Uhr folgt ein Konzert der Band Pro Art aus Ilmenau.
Für Essen und Trinken ist gesorgt. Eintritt frei. Es gelten die örtlichen Corona-Schutzmaßnahmen.
Der Geschichtsverbund Thüringen, eine Arbeitsgemeinschaft zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, ist der Veranstalter. Der Geschichtsverbund Thüringen fördert die Zusammenarbeit und Vernetzung der Aufarbeitungsinitiativen zur SED-Diktatur in Thüringen und trägt zum Ausbau einer „Lernlandschaft Thüringen“ bei. Der Geschichtsverbund konstituierte sich 2009, 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution in der DDR. Er wird getragen durch die vielfältigen Initiativen, Einrichtungen und Gedenkstätten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Thüringen.
Jüdische Lebensspuren in Thüringen – ein Kunstprojekt für Jugendliche: Freie Plätze für Projektwoche in Weimar
Im Rahmen eines Bildungsprojektes der Geschichtswerkstatt Jena zu jüdischen Lebensspuren in Thüringen findet Ende August ein Kunstprojekt für Jugendliche mit Sibylle Mania in Weimar statt.
ES GIBT NOCH FREIE PLÄTZE !
Termin: 23.8. bis 27.8.2021,
täglich 9 bis 15 Uhr (fünf Tage)
Wir gehen mit Euch zusammen auf Spurensuche und besuchen gemeinsam mit Sibylle Mania den jüdischen Friedhof in Weimar, die alte Synagoge in Erfurt und die Villa Rosenthal in Jena. Während eines Rundgangs werden wir geschichtliche Informationen erhalten und künstlerische Inspirationen empfangen. Dabei werden wir vor Ort Eindrücke sammeln und unsere Wahrnehmungen notieren. Wir werden skizzieren und fotografieren.
Informationen und Anmeldung unter: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
oder telefonisch unter: 0163-3033630 (Torsten Eckold)
Das medienpädagogische Projekt der Weimarer Künstlerin Sibylle Mania, der Pavillon Presse Weimar und der Geschichtswerkstatt Jena e. V. wird gefördert durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport im Rahmen des Landesprogramms DenkBunt für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit (Themenjahr „Neun Jahrhunderte Jüdisches Leben in Thüringen“).
Neue Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ zum Schwerpunkt ZENSUR erschienen
Wo beginnt Zensur und wo wird sie mit dem Schutz von Grund- und Menschenrechten oder der Anwendung des Strafrechts verwechselt? Die komplexen Debatten um die Phänomene Identitätspolitik, kulturelle Aneignung und eine sogenannte Cancel Culture haben zuletzt gezeigt, wie dünn die gegenseitige Toleranz oftmals ausgebildet ist und wo die demokratische Diskussionskultur an ihre Grenzen stößt. Ehemals ein Herrschaftsinstrument, um Widerspruch und abweichende Meinungen mundtot zu machen, richtet sich der Zensurvorwurf inzwischen – meist pauschal – gegen alle und jeden. Passend dazu behaupten ganze Gruppen: „Das ist ja wie in der DDR!“, um sich gegen die Corona-Schutz-maßnahmen zu wehren oder die Bericht-erstattung „der Medien“ insgesamt zu ächten. Gefährlich und schief sind solche Vergleichs-maßstäbe nicht zuletzt, weil damit das tatsächliche Ausmaß von SED-Unrecht verharmlost und die gesellschaftliche Sehschärfe gegenüber Extremismus gemindert werden. Im Themenschwerpunkt ZENSUR der aktuellen „Gerbergasse 18“ werden historische Fälle geschildert, die aber auch den Blick auf die Gegenwart schärfen möchten.
Inhaltlich geht es beispielsweise um die Erforschung der Textsorte Gutachten im Druckgenehmigungsverfahren, das jedes in der DDR erschienene Buch zu durchlaufen hatte. Ein anderer Beitrag schildert, wie der jahrzehntelang tabuisierte Roman „1984“ von George Orwell fast noch in einem DDR-Verlag erschienen wäre. Weitere Zensur-Einblicke folgen, etwa wie „heiße Marken“ im Kalten Krieg die alltägliche Systemkonkurrenz prägten, wie diffizil die Zensurmechanismen im „Leseland DDR“ funktionierten oder wie ambivalent mit dem Erbe des Philosophen Friedrich Nietzsche bis 1990 umgegangen wurde. Dass der Deutungskampf um die Geschichte aggressiv fortwirkt, beschreibt ein Text über die staatliche Einflussnahme auf die Lagergedenkstätte Perm-36 in Russland.
In einem längerem Interview bilanziert Roland Jahn seine zehnjährige Arbeit im Amt des Bundesbeauftragten: „Die Stasi-Unterlagen sind ein Teil des Gedächtnisses unserer Nation, ihre Nutzung und Erforschung ein Baustein unserer Demokratie.“ Dass die Akten, die am 17. Juni 2021 formell in den Bestand des Bundesarchivs eingegliedert wurden, weiterhin offen bleiben und auch für zukünftige Fragen an die SED-Diktatur und ihre Geheimpolizei bereitstehen, sei eine wichtige Voraussetzung für den Dialog der Generationen, denn jede Form der Aufarbeitung benötigt Aufklärung und fundiertes Wissen über das Geschehene.
Die neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ (Heft 99) ist im lokalen Buchhandel oder direkt über die Geschichtswerkstatt Jena erhältlich. Eine Inhaltsübersicht und Leseproben finden Sie hier.
JULI-Jubiläums-Crowd-Aktion: 100 Seiten für Heft 100 der „Gerbergasse 18“
Seit 1996 erscheint die Zeitschrift „Gerbergasse 18“. Was vor über 25 Jahren wohl niemand ahnte: es gibt sie bis heute. Demnächst steuern wir auf das 100. Heft zu und haben uns dafür etwas besonderes überlegt. Die Jubiläumsausgabe möchten wir zu einem Ereignis machen und in erweitertem Umfang von 100 Seiten publizieren. Dafür brauchen wir noch (etwas) Unterstützung – durch Kleinspender:innen, den historisch interessieren Schwarm, modern gesagt: die Crowd.
Die Stadtwerke Jena, die selbst in diesem Jahr ein rundes Jubiläum begehen (30 Jahre), haben 30 Vereine aus Jena zu einer speziellen Crowdfunding-Aktion ausgewählt. Das Spezielle daran ist: Jede Spende ab 10 Euro wird von den Stadtwerken Jena mit 30 Euro obendrauf belohnt! Aus 10 Euro werden also gleich mal 40 Euro für unser Jubiläums-Projekt.
Startschuss ist am Donnerstag: 1. JULI (vormittags Punkt 9.00 Uhr). Wenn die 100 Prozent unseres Spendenziels (2.500 €) am Ende nicht zusammenkommen, erhalten alle Spender:innen ihr Geld zurück. Für uns heißt es also: Alles oder nichts! Doch: Jede Spende zählt! Wenn die Aktion gelingt, bekommen selbstverständlich alle Spender:innen im Herbst auch die Jubiläums-“Gerbergasse 18“ No. 100 von uns zugeschickt. Außerdem gibt es eine Menge interessanter Prämien im Rahmen der Crowd-Aktion. Vielen Dank für Eure Unterstützung!
Und hier kann man uns (ab 1. Juli, 9.00 Uhr) für das geplante Jubiläumsheft unterstützen: www.jena-crowd.de/gerbergasse100
Lesung am 2. Juli 2021 in Jena: Wir sind ein Volk! Oder? – Die Deutschen und die deutsche Einheit – mit Freya Klier, Lothar Tautz und Doris Liebermann
Am 2. Juli 2021 wird die im letzten Herbst ausgefallene Lesung aus dem Buch „Wir sind ein Volk! Oder? – Die Deutschen und die deutsche Einheit“ mit Freya Klier, Lothar Tautz und Doris Liebermann nachgeholt. Beginn ist 18.00 Uhr in der Kulturkirche Jena-Löbstedt (Am Teich). Eintritt frei (es gelten vor Ort die aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen). Veranstalter ist die Landeszentrale für politische Bildung Thüringen.
Die Mauer war gefallen und ein neues, geeintes Deutschland entstand, der Jubel war überwältigend. Endlich Freiheit, Wohlstand und Demokratie für alle Deutschen! Doch kurz nach der Wende dann der Schock: Arbeitslosigkeit, Abwanderung in den Westen und fehlende Perspektiven holten die Menschen ein. Deutschland vereinigt, aber doch gespalten – wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich. Welche Rolle spielte die Treuhand beim Niedergang der ostdeutschen Wirtschaft? Woher kamen plötzlich die vielen Rechtsradikalen im Osten, hat man die bisher übersehen? Und wie entwickelte sich die Vereinigung von Ost und West? Zeitzeugen aus Ost und West erinnern sich und ziehen Bilanz. Mit Beiträgen von Jörg B. Bilke, Heidi Bohley, Helga Druxes, Andreas Dürr, Monika Fabricius, Gesine Keller, Stephan Krawczyk, Editha Krummreich, Reiner Kunze, Norbert Lammert, Doris Liebermann, Katharina Oguntoye, Norbert F. Pötzl, Friedhelm Schülke, Rainer Seidel, Peter Tauber, Lothar Tautz, Wolfgang Thierse und Herbert Wagner.
Zeitzeugenwerkstatt: Generationen im Umbruch. Skizzen eines Gesprächs
Neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ mit Themenschwerpunkt TREUHAND erschienen
Kaum ein Begriff ist nach wie vor emotional derart aufgeladen, mit scharfen Vorwürfen belegt und unumstößlichen Bewertungen überzogen wie die gerade einmal viereinhalb Jahre aktive Treuhand. Die „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ entstand ursprünglich im März 1990 auf Anregung des Runden Tisches, um die implodierende DDR-Wirtschaft neu zu ordnen und auf die künftigen Herausforderungen zu orientieren. Doch allein die Losungen der damaligen Protestwelle offenbaren das verheerende Urteil: Treuhändler. Treuhenker. Kohls Mafia in Ostdeutschland. Treuhand in die Produktion. Treuhand in Volkshand. Haut der Treuhand auf die langen Finger. Verraten und verkauft. Vielen Dank für die aktive Sterbehilfe. Stets belogen und beschissen, von der Treuhand rausgeschmissen.
Als Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel Ende 1994 am Detlev-Rohwedder-Haus in Berlin, benannt nach ihrem am 1. April 1991 ermordeten Vorgänger, symbolisch das Filialschild abschraubte, war das öffentliche Bild der Treuhandanstalt bereits festgelegt: Parallel zur radikalen Umbildung der ostdeutschen Ökonomie haben sich Westfirmen die Filetstücke geschnappt, ansonsten sei lästige Konkurrenz beseitigt worden, die „neuen Länder“ lediglich als neuer Markt und durch billige Arbeitsplätze als verlängerte Werkbank des Westens nützlich gewesen. Doch berücksichtigen diese Deutungen den Stand der aktuellen historischen Forschung? Und was wissen wir, 30 Jahre später, über das Wirken der so umstrittenen wie verhassten Organisation? Die Beiträge der aktuellen „Gerbergasse 18“ hinterfragen das Negativimage der Treuhand mithilfe neuer Quellen und Forschungsbefunde.
Auch die Rubriken Zeitgeschichte und Zeitgeschehen enthalten wieder eine vielfältige Mischung. Darunter ein Werkstattbericht über die biografische Spurensuche zu Hermann Flade, der als Oberschüler gegen die Scheinwahlen in der DDR protestierte und vor 70 Jahren für kurze Zeit in das Zentrum der Weltöffentlichkeit geriet. Ein anderer Artikel im Heft zeigt, wie die SED versuchte, den Glauben im katholischen Eichsfeld zurückzudrängen und daran scheiterte. Ein weiterer Beitrag beleuchtet das sogenannte Neuererwesen innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit, womit die Arbeit der Geheimpolizei noch „erfolgreicher“ gestaltet werden sollte. Einem neuen Standardwerk zur deutsch-deutschen Geschichte, dem Buch „Getrennt und doch vereint“ der Historikerin Petra Weber, ist eine ausführliche Rezension gewidmet.
Die neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ (Heft 98) ist im lokalen Buchhandel, in ausgewählten Museen/Gedenkstätten oder direkt bei der Geschichtswerkstatt Jena erhältlich (über unser Bestell- und Kontaktformular).
Eine Inhaltsübersicht und Leseproben finden Sie hier.
40. Todestag von Matthias Domaschk am 12. April 2021
Ehrengrab von Matthias Domaschk auf dem Jenaer Nordfriedhof. Foto: GWS
Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke), Domaschks ehemalige Lebensgefährtin Renate Ellmenreich und Domaschks enger Freund Peter "Blase" Rösch (†) zur konstituierenden Sitzung der Arbeitsgruppe zur Aufklärung der Todesumstände von Matthias Domaschk, 5. März 2015. Foto: Henning Pietzsch
Am 12. April 1981, vor nunmehr 40 Jahren, starb Matthias Domaschk im Alter von 23 Jahren in Gera. Der Ort seines gewaltsamen Todes, die Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit, ist bekannt, doch das wie ist bis heute nicht restlos aufgeklärt.
Unser Vereinsvorsitzender, Dr. Henning Pietzsch, hat für das online erscheinende "Deutschland Archiv" der Bundeszentrale für politische Bildung den Fall nochmals kompakt dargestellt: www.bpb.de/330728
Wer noch mehr über "Matz", wie ihn seine Freunde nannten, erfahren will, kann das 2019 erschienene Sonderheft unserer Zeitschrift "Gerbergasse 18" erhalten. Im April 2021 aus Anlass des 40. Todestages sogar kostenfrei! Eine kurze Nachricht (mit Adresse) über unser Kontaktformular genügt.