Meldungen des Jahres 2025

Meldung vom 27. November 2025

Neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ zum Titelthema NACH DEM KRIEG erschienen

Die Hoffnungen auf einen gerechten Frieden für die Ukraine sind – auch dreieinhalb Jahren nach Beginn des russischen Überfalls – vage. Aktuell ist nicht einmal ein Waffenstillstand in Sicht. Jeden Tag fallen Bomben und Menschen sterben. Viele Experten und Beobachter gehen von einem langandauernden Kriegszustand aus, andere befürchten einen baldigen Angriff auf weitere europäische Länder, „wenn Russland in der Ukraine gewinnt“. Die historischen Losungen der Friedensbewegung wirken hilflos, wenn nicht sogar zynisch, angesichts des täglichen Terrors und Tötens. Auch der Gedichttitel „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ von Jewgeni Jewtuschenko aus dem 1961 taugt in der Gegenwart weder als rhetorische Frage noch als Antikriegsbotschaft.
Jede Kritik an den Kriegstreibern im Kreml wird in Russland radikal bekämpft und endet im Gefängnis. Zuletzt traf es die 18-jährige Studentin und Straßenmusikerin Diana „Naoko“ Loginowa mit ihrer Band „Stoptime“, weil sie in Sankt Petersburg vor Publikum spielten. Ihr „Verbrechen“ bestand darin, unter anderem das in Russland gerichtlich verbotene Lied „Kooperative Schwanensee“ des Rappers „Noize MC“ zu singen. Im Lied heißt es: „Ich möchte Ballett sehen – Lass die Schwäne tanzen.“ Eine Anspielung auf das Ballett „Schwanensee“ zur Musik von Pjotr Tschaikowski, das in den 1980er Jahren vom sowjetischen Staatsfernsehen dreimal aus Anlass des Todes von Sowjetführern in Endlosschleife gesendet wurde, das vierte Mal aus Hilflosigkeit während des Putsches gegen Michail Gorbatschow im August 1991. Als der unabhängige russische Nachrichtenkanal „Doschd“ aufgrund von Zensurgesetzen geschlossen werden musste, beendete der Sender am 3. März 2022 sein Programm symbolträchtig mit einer Schwarzweißaufnahme vom „Tanz der vier kleinen Schwäne“ aus dem Ballettklassiker.
Auf Naoko und ihre Bandkollegen, die seit ihrer Verhaftung viele Gesten der Solidarität erhalten haben, warten infolge ihres mutigen Protests vermutlich langjährige Freiheitsstrafen, so wie bei Tausenden vor ihnen. „Schwanensee“ flößt den Machthabenden wohl derartige Angst ein, weil die tanzenden Ballerinas das Ende ihrer eigenen Herrschaft ankündigen, aber die Sage von der verzauberten Schwanenprinzessin auch für den Sieg des Guten über das Böse steht und den Triumph der Liebe über den Tod symbolisiert. Aus dem Vorzeigeprodukt der sowjetrussischen Hochkultur ist heute ein Geheimzeichen für die Agonie eines mörderischen Systems geworden, das sogar Teenager einsperrt.
Der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel, hat wiederholt vor der aggressiven Expansionspolitik und dem autoritär-nationalistischen Machtanspruch Russlands gewarnt. Er sieht die Ukraine als Teil Europas und fordert dazu auf, das Land um unserer gemeinsamen Zukunft willen zu unterstützen und zu verteidigen. Die aktuelle Situation – 80 Jahre nach dem Kriegsende 1945 – ließ Schlögel in seiner Dankesrede in Frankfurt am Main von einer „neuen Vorkriegszeit“ sprechen, geprägt vom „Wegbrechen eines Erfahrungshorizonts“. In seinem aktuellen Buch „Auf der Sandbank der Zeit“, einer Auswahl von publizistischen Interventionen, schreibt Schlögel: „Historiker wenden ihre ganze Kraft auf die Vergegenwärtigungen der Vergangenheit und auf die Schlüsse, die sie daraus ziehen. Jetzt sind sie als Zeitgenossen, die sie auch sind, eingeholt von der Gegenwart und konfrontiert mit allen Fragen, die sie bisher an die Vergangenheit hatten richten können, und zwar im Ernstfall und in Echtzeit.“

 

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Die aktuelle Ausgabe der „Gerbergasse 18“ (Heft 116) ist im Buchhandel oder direkt über die Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.

 
 
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