Meldungen des Jahres 2017
Ökologiebewegung und Umweltschutz im kirchlichen Raum
Als kleine Einstimmung auf das kommende Heft der "Gerbergasse 18" zum Schwerpunkt "Umwelt" möchten wir eine Rezension von Dr. Hans-Joachim Döring (Umweltbeauftragter der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und Mitarbeiter im Fachbereich Entwicklung & Umwelt am Lothar-Kreyssig-Ökumene-Zentrum in Magdeburg) zum Buch "Die Ökologiebewegung im kirchlichen Freiraum der DDR" von Aribert Rothe vorausschicken. Der Band des Erfurter Pfarrers und Pädagogen Rothe erschien 2015 in der Schriftenreihe der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, hat 100 Seiten und beinhaltet zahlreiche Abbildungen. Buchbestellungen aus Thüringen bei der Landeszentrale in Erfurt sind kostenlos möglich. Dr. Aribert Rothe ist auch Autor eines eigenen Beitrages im kommenden Heft unserer Zeitschrift unter dem Titel "Alles muss klein beginnen - Die Öko-Bewegung in der DDR". Die neue "Gerbergasse 18" (Heft 82) erscheint im April.
Sanfte Sprengkraft
Hier gibt einer Kunde von renitenten Leuten in der DDR und in der Kirche. Der Schwerpunkt liegt im ehemaligen preußischen Thüringen. Die Kreise freilich zieht er weiter, denn „die Umweltgruppen gehörten zu den katalytischen Kräften der DDR, die Zivilcourage riskierten, das Krisen-bewusstsein schärften und nicht zuletzt einen Demokratieprozess einforderten […]“ (S. 6).
Man spürte etwas von der Glückseeligkeit der Halblegalität im Schutzmantel der evangelischen Kirche. Eine flaue Idealisierung scheint auch durch. Nicht nur dass knapp 300 oppositionelle „Gruppen und Grüppchen“ – davon circa 60 bis 80 Umweltgruppen – die DDR Dank ihrer kritischen Fragen und Haltungen mit zum Wanken gebrachte haben. Die schlappen 300 sind auch eine Aussage über die politische (IN)-Potenz und Relevanz der weit über 10.000 Kirchengemeinden und rund 4000 Pfarrer und Pfarrerinnen Ende der 1980er Jahre in der DDR.
Knapp und gut nachvollziehbar beschrieben werden die Umweltkrise und die wachsend Sprengkraft der Umweltgruppen (S. 13-24). Bereits 1972 befasste sich die Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen (KPS) in Magdeburg mit der Umweltsituation in der DDR und die Synode des Bundes der Evangelischen Kirche in der DDR (BEK) fragte 1984 nach „der Verantwortung für die Natur […] um solidarisches Problembewusstsein und eine Suchbewegung nach der ökologisch, verantwortlichen Gesellschaft in Gang zu setzen“ (S. 18). Leider werden Theologen der KPS mit hohem ökologischem Bewusstsein wie Heino Falcke oder Friedrich Schorlemmer nicht erwähnt. Angerissen werden die Lernvorgänge in der Repression und die Kraft, die Tabuthemen und deren Aufklärung entfalten können. Beschrieben wird auch die Schutzmantelmadonna evangelische Amtskirche.
Die kreative Vielfalt und Reichweite der Bildungs- und Informationsaktivitäten kirchlicher Umweltarbeit (S. 25-30) werden dargestellt. Ob „Mobil ohne Auto“, „Eine Mark für Espenhain“ oder die „Briefe zur Orientierung im Konflikt-Mensch“ aus dem kirchlichen Forschungsheim Wittenberg (KFH). Auf das KFH, einer Einrichtung der KPS geht Rothe unter der Überschrift „Konflikt und Konkurrenz“ ein. Die erstarkte unabhängige Umweltbewegung rieb sich mit der bereits 1927 gegründeten ehrbaren Einrichtung. Die Arbeit des KFH, der Spinne im (Umwelt)-Netz, die keine sein aber gern so gesehen werden wollte, bedarf noch der zeitgeschichtlichen Betrachtung. Rothe hat mit gutem Recht daran erinnert.
Exemplarisch werden die Aktivitäten der „Erfurter Umweltgruppe in der Oase“ (S. 51-76) und des „Einkehrhauses Bischofsrod“ (S. 77-86) dargestellt. Lebendig wird die Arbeitsweise der „Oase“ und das Drängen in die Öffentlichkeit über Info-Stände, Vortragsabende, Ausstellungen oder Seminare beschrieben. Immer wieder verblüffend zu lesen ist die Anziehungskraft der in der DDR unterdrückten Zahlen und Fakten. So auf den überregionalen Luftseminaren. Wichtig war die gleichzeitig Informationen gebende und Identität stiftende Untergrund- oder Samistad-Literatur. Hervorzuheben ist die frühe Internationalität der Erfurter Arbeit. Umwelt wie Demokratie waren und sind weltweit bedroht.
Würdigend festgehalten – und dafür ist besonders zu danken – wird die Arbeit der Bildungsstätte Einkehrhaus Bischofsrod im Henneberger Land. 1979 als themenbezogenes Rüstzeitheim für Kontemplation und Aktion im Umweltsektor ins Leben gerufen, wurde Bischofsrod zum Durchlauferhitzer des konziliare Prozesse und der Schöpfungsverantwortung. Getragen wurde es von den Ehepaaren Fahr und Winkelmann. In den 1990er Jahren musst die Arbeit eingeschränkt und 2015 ganz aufgegeben werden. An Bischofsrod wie der Erfurter "Oase" zeigt Rothe: Aufklärung machte Sinn, denn weithin war es dunkel. Unrecht und Unwahres stützten sich mit Offiziellen Die Gruppen aber waren vereinzelte und zeitweise wirkmächtige Gegenöffentlichkeit. Somit ein Ferment in der friedlichen Revolution 1989/90.
Ein Glück ist, dass Rothe über die Jahre viel gesammelt hat. So entsteht ein lokales Bild mit konzentrischen Kreisen. Weiteres möchte man lesen. Für den Umfang der Broschüre zitiert Rothe viel aus Stasiunterlagen, auch aus Eigenen. Woraus soll man auch zitieren beim Berichten aus Zeiten mit Zensur und Veröffentlichungsverboten? Ein klassisches Dilemma. So bleibt’s: Die einzige Objektivität ist die gekennzeichnete Subjektivität. Die Broschüre wird herzlich empfohlen zu lesen! Den Alten zum Erinnern und Erwärmen, den Jungen zum Vergleichen und Erkennen.
Dr. Hans-Joachim Döring