Meldungen des Jahres 2018

Meldung vom 02. Februar 2018

Betrachtung einer Heimatgeschichte aus Schüler*innenperspektive. Oder: Wie der Film „Sushi in Suhl“ auf mich wirkte

In meinem Schülerpraktikum bei der Geschichtswerkstatt Jena wurde ich auf einen in der „Gerbergasse 18“ veröffentlichten Artikel der Soziologin Sylka Scholz aufmerksam. Dieser behandelt die Darstellung der DDR-Gesellschaft im Spielfilm „Sushi in Suhl“ – Umstände und Zeiten, mit denen ich nie direkt in Kontakt gekommen bin. Im Folgenden möchte ich deshalb auch darauf eingehen, wie dieser Film auf unterschiedliche Generationen wirkt. Bevor ich die Analyse in der „Gerbergasse 18“ las, sah ich mir zunächst den Film an.

 

Ein Visionär in der Planwirtschaft

Ich erlebte den Suhler Koch Rolf Anschütz (im Film dargestellt von Uwe Steimle) bei der Entdeckung einer neuen Leidenschaft und letztendlich bei der Erfüllung seines Traums in Form eines eigenen japanischen Restaurants.

Bisher wurde in seinem Lokal „Waffenschmied“ typisch thüringisch gekocht, die Gäste und die Gerichte waren stets die gleichen. Jeden Tag schmeckte es „wie immer“. Es gab nichts mehr zu entdecken und auszuprobieren. Anschütz fasste nach umfassender Lektüre des Buches „Die Sitten der Völker“ den Entschluss, ein japanisches Essen für seine Freunde zuzubereiten.

Der Weg zur Gestaltung dieser Mahlzeit war kein leichter, denn es mangelte an so gut wie allen originalen Zutaten. Doch der 1932 geborene Rolf Anschütz, dessen Leben dem Film als Vorlage diente, war ein kreativer Geist. Anstatt Stäbchen nahme er die Trommelstöcke seines Sohnes und gab die Fertigung in die Hände eines befreundeten Tischlers. Dieser war erst skeptisch. Denn er hatte noch nie etwas Vergleichbares hergestellt und war nicht in den Nutzen der Hölzer eingeweiht. Doch am Ende besaß der Koch seine ersten Essstäbchen. So ging es weiter: Eierbecher wurden zu Trinkschalen, aus denen selbstgemachter Reiswein getrunken wurde. Aus entwendeten Judo-Mänteln wurden mit Hilfe von roter Farbe Kimonos, die traditionelle Landestracht der Frauen in Japan. Stühle und Tische wurden abgesägt, um mit „japanischen Möbeln“ in die dazugehörigen Essgewohnheiten einzutauchen. Auch das Herstellen von Sushirollen war dank Milchreis kein Problem. „Aus nichts was machen, das ist fantastisch“ sagt Anschütz mit sichtlicher Faszination. Es mangelte nun mal an Vielem in der Planwirtschaft, doch gerade das machte Anschütz’ Essen so besonders und ihn selbst so strebsam und erfinderisch.

Auch die, nach dem „Prinzip des Volkseigentums“ staatlich geführte, Handelsorganisation (HO), die in der DDR alle Gaststätten kontrollierte, förderte Anschütz’ Ehrgeiz erst nicht. Man drohte ihm sogar, den „Waffenschmied“ zu schließen. Die Wendung kam, als der erste japanische Gast Dr. Hayashi, ein Gastwissenschaftler der Universität Jena, im Suhler Restaurant tatsächlich japanisch essen wollte. Immer noch misstrauisch und die japanische Küche in Thüringen als „Feindpropaganda“ erklärend, erkannte die HO, dass diese die Tür für eine Verbesserung der erhofften Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern öffnen könnte.

So ermöglichte die HO dem ambitionierten Koch eine Japanabteilung im „Waffenschmied“ und legte ihm ein Plansoll von zwei japanischen Gerichten im Speiseplan auf. Sie trug auch dazu bei, dass Anschütz direkt aus dem Land der aufgehenden Sonne mit Zutaten beliefert werden konnte. Er durfte sogar für eine Ordensverleihung nach Japan reisen. Trotzdem wurde er gerade zu Anfang mit

viel Ablehnung seines Vorhabens konfrontiert.

Interpretationsangebote des Films

Die HO dient im Film als Sinnbild für die Doppelmoral, die Unsicherheit  und das daraus resultierende Willkür. Dabei werden deren Führungskräfte oft überspitzt und ironisch dargestellt. Im Kontrast zu Sylka Scholz’ These im Artikel stellt das aus meiner Perspektive keine Verharmlosung der Machtstrukturen der DDR dar. Vielmehr empfinde ich Satire als aktuelles und probates Mittel zur Übung von Kritik und Veranschaulichung von Missständen. Die aufgezeigte Abhängigkeit des Kochs und des Gelingens seines Traumes von der HO machen deutlich, dass alles wesentlich schlechter hätte ablaufen können.

Ich erachte es als große Stärke des Filmes, die DDR-Geschichte eben nicht allumfassend darzustellen und somit Pauschalisierung in Kauf zu nehmen. Geschichten wie die von Rolf Anschütz gehören zur Auseinandersetzung mit der DDR. Denn auch das haben die Menschen erlebt: den Alltag. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war nicht für alle Bürger*innen dauerhaft und ständig bestimmend. Deshalb kann ich Frau Scholz’ Kritik, der Film wäre zu unpolitisch und nur eine Komödie, weniger nachvollziehen. Denn politisch ist etwas nicht nur dann, wenn es „Anklage“ oder „Abrechnung“ bedeutet. Wichtig für die Aufarbeitung ist die Diversität der Erfahrungen mit dem System. Die Erfolge und Glücksmomente, die es auch gab, nicht zu thematisieren, wäre erst recht unpolitisch und unrealistisch.

Ich stimme zu, dass das Werk vielleicht eine geringere öffentliche Debatten über die damaligen politischen Verhältnisse auslöste als zum Beispiel der Film „Good Bye, Lenin!“ (2003). Den Grund hierfür sehe ich in der Thematisierung eines konkreten Einzelschicksals, welches nicht streitbar ist, während eine absolute Darstellung des Systems weitaus mehr Menschen betrifft, die dazu unterschiedliche Meinungen vertreten. Insofern bewerte ich die „nicht vorhandene Diskussionsgrundlage“ als positiv.

Der Interpretation, der Film „formulier[e] […] eine (aktuelle) Kritik an Frauen in Führungspositionen, indem er sie lächerlich mach[e]“ kann ich nicht folgen. Die Direktorin der HO wird in dem Film gezielt lächerlich gemacht, ebenso wie der Bezirksdirektor und der Kreisdirektor der HO. „Sushi in Suhl“ kritisierte sie also nicht mehr oder weniger als die ebenfalls den Staatsapparat verkörpernden Männer. Nur weil eine Frau die Führungsposition innehat, bedeutet das nicht, dass der Film Frauen in Führungspositionen angreift. Vielmehr setzt der Film die Funktionäre der HO und staatliche Führungsriege an sich herab.

Ich stelle fest, dass ich den Film als Schülerin mit meinen Erfahrungen anders wahrnehme als zum Beispiel die Autorin der Artikels Frau Scholz oder meine Eltern. So könnten damalige Ereignisse Anhaltspunkte für die These der Kritik an erfolgreichen Frauen bieten, die der Film bedient, und die ich einfach nicht kenne.

Mein Vater, der in der DDR aufwuchs, konnte mir zum Beispiel von Situationen berichten, in denen er lokale Führungspersönlichkeiten sehr positiv, aufgeschlossen und direkt erlebt hat. Andere Zeitzeugenberichte, die vermehrt von einer Unterdrückung durch das Systems berichten, sind aber auch berechtigt.

So eröffnet sich mir, dass zwar die heutige Generation, mich eingeschlossen, nicht den gleichen Bezug zu Filmen über die DDR-Gesellschaft finden können wie Menschen, die dieses System erlebt haben. Doch, dass sogar diese unterschiedlichste Berührungspunkte und somit viele verschiedene Sichtweisen bezüglich Berichten und Geschichten aus der DDR haben können.

An einem Kritikpunkt komme ich nicht vorbei: die Besetzung eines Thüringers durch Uwe Steimle, einem sächsischen Kabarettisten. Leider lässt sein starker Dialekt, welcher als sein Markenzeichen gilt, die Rolle des Rolf Anschütz unauthentisch wirken. Das dürfte aber nur sächsische und thüringische Bürger*innen stören, da andere Zuschauer*innen diese Dialekte kaum unterscheiden können.

 

Was im Kopf bleibt

Trotz dieser Rollenbesetzung empfand ich den Film als sehr glaubwürdig angelegt und die Handlung als gut nachvollziehbar. Außerhalb seines historischen Kontextes ist er inspirierend und ermutigend für alle Visionäre und dabei gleichzeitig unterhaltsam.

„Sushi in Suhl“ leistet einen bedeutenden und kontroversen Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Er fügt die neuen Komponenten Alltag und Einzelschicksal zur öffentlichen Diskussion hinzu und ist dabei noch witzig. Ich durfte die Erfolgsgeschichte eines Mannes beobachten, der durch Phantasie und Ehrgeiz seinen Traum vom japanischen Kochen verwirklichte. Dabei trotzte Rolf Anschütz jeglicher Lebensmittelknappheit in der Planwirtschaft. Der Spielfilm zeigt, dass dies auch in der DDR möglich war. Seine Geschichte hat mich sehr beeindruckt.

 

Paula Malou Dolinschek

 

Filmfotos "Sushi in Suhl": © Movienet Filmverleih München

 
 
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